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Ansichtskarte von Otelfingen: Dorfansicht | um 1900

Dorfansicht | um 1900


Verlag Johanna Wyss, Steinhof, Otelfingen, bei Paul Bleuler, Art. Atelier, Zürich im Lithografieverfahren hergestellt.

Sie zeigt eine Gesamtansicht des Dorfes von Süden Richtung Lägern (damals Lägernberg genannt). Verschickt wurde sie von Otelfingen nach Laufen ZH und ist rückseitig datiert vom 31.10.1907. Der wenige, freie Platz auf der Bildseite ist eng beschrieben, denn die Adressseite durfte damals nicht für Text verwendet werden. Und wurde hier trotzdem benutzt…

Adressiert war sie an Herrn und Frau Pfr. (Pfarrer) Oelminger in Laufen ZH mit folgendem Text: Erlaube mir, Ihnen zu melden, dass gestern Abend 8 Uhr auf hiesigem Bahnhof ein Eisenbahnzusammenstoss stattgefunden hat. Immer wurde geläutet, dann folgte ein heftiger Knall: Der Zug v. Zürich war kaum abgefahren, als der v. Bülach kam u. mit Macht in den Packwagen des 1. Zuges hineinfuhr. Kamin u. Puffer flogen fort u. die Lokomotive blieb in einen Mantel gehüllt drin stehen. Ein elektrischer Vergnügungszug war auf dem andern Geleise, drum eine Ausweichung unmöglich. Einige leichtere Verletzungen u. der Packwagen demolirt. Hoffend, dass es Ihnen gut gehe, grüsst Sie Ant. J. N.

Beim Absender handelt es sich um Antistes Jakob Näf (Pfarrer in Otelfingen von 1867 bis 1908). Ein Antistes (= Vorsteher) war der Vorsitzende der reformierten Pfarrsynode des Kantons Zürich, präsidierte den Konvent für die Prüfung von Pfarramtskandidaten und vertrat die Kirche gegenüber den Behörden und nach aussen.

In den Unterlagen des Bezirks und der SBB sind zum Zugunglück keine Angaben zu finden. Dagegen melden der Tages-Anzeiger am 31.10.1907, die Neue Zürcher Zeitung in der Abendausgabe vom 31.10.1907 und der Lägern-Bote am 1.11.1907 das Ereignis mit ähnlichen Schilderungen. Offensichtlich versagten bei dem von Buchs auf der oberen Bahnlinie herkommenden Zug die Bremsen.

Wieso wird auf dieser Karte ein „elektrischer Vergnügungszug“ erwähnt, befuhren die Züge doch die obere und untere Bahnlinie seit ihrer Eröffnung 1877 mit Dampfkraft? Die Erklärung dazu: Die Maschinenfabriken MFO Zürich, BBC Baden und Sécheron Genève hatten zu Beginn des 20. Jahrhunderts gemeinsam zwei elektrisch betriebene, jedoch unterschiedlich aussehende Lokomotiven entwickelt. Die eine wurde unter der Typenbezeichnung Fc 2×2/2 geführt, später Typ Ce 4/4 33 und „Eva“ getauft, im Volksmund im Furttal wegen ihrer Form jedoch „Glettise“ (Bügeleisen) genannt. Später fuhr sie auf der Bodensee-Toggenburg-Strecke. Die andere war die „Marianne“, ebenfalls als Fc 2×2/2, später Ce 4/4 1 und befuhr später die Strecke der Sensetalbahn. Beide Lokomotiven sind heute noch erhalten und befinden sich in der Sammlung SBB Historic (Nr. 2) und im Verkehrshaus der Schweiz (Nr. 1).

1903 bewilligten die SBB einen Versuchsbetrieb ab 1905 auf der Strecke Oerlikon-Seebach. In Etappen wurde die Strecke bis Wettingen verlängert. Sämtliche Kosten (Oberleitungen, Rollmaterial, Strom- und Betriebskosten) wurden den drei Firmen auferlegt. Sie übernahmen auch die Fahrdienstleistungen von den SBB und wurden dafür mit CHF 0.60/km entschädigt. Diese Abgeltung deckte jedoch die Aufwendungen bei weitem nicht. Offensichtlich organisierten die Maschinenfabriken deshalb Vergnügungsfahrten, um einem erweiterten Publikum die Neuentwicklung vorführen zu können. 1909 entschieden sich die SBB das Experiment zu beenden. Die Fahrleitung und Masten mussten auf Kosten der Betreiber entfernt werden, und das Rollmaterial (ausser die beiden Lokomotiven, die der SBB übergeben wurden) musste entsorgt werden. Angesichts des Kohlemangels im 2. Weltkrieg beschlossen jedoch die SBB die endgültige Einführung der Elektrifizierung auf der unteren Furttalstrecke zwischen Oerlikon und Wettingen. Der Dampfzugbetrieb auf der oberen Bahnstrecke über den Schwenkelberg war dagegen bereits 1937 endgültig eingestellt worden. Ausgeführt wurden die Arbeiten 1941-1942, dieses Mal mit den heute noch bestehenden metallenen Masten. Seit 1942 fahren damit die normalen Züge im Furttal ausschliesslich elektrisch.

Weiterer Kommentar siehe „Bahnhof SBB | 1942“.

Quelle(n)

  • Bollinger Fredi, Heimatkundliche Vereinigung Furttal, Mitteilungsheft Nr. 27/1998
  • Güller Alfred, Ortsgeschichte Otelfingen, Chronos-Verlag Zürich, 1991
  • www.wikipedia.org